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Entbindung bei Risikoschwangerschaft in einem klineren Krankenhaus ohne kinderäztliche Abteilung

Anmerkung zu OLG Hamm, Beschluss vom 17.01.2011, I-3 U 112/10, 3 U 112/10 von Joachim Francke, Fachanwalt für Sozialrecht und für Medizinrecht, RAe Francke & Partner, Düsseldorf

Das durch seine Eltern vertretene klagende Kind erlitt bei der Geburt einen Hirnschaden. Dem als Belegarzt tätigen Gynäkologen wurde zur Last gelegt, den kinderärztlichen Notdienst erst verspätet informiert zu haben. Die gegen den Krankenhausträger gerichtete Klage wurde erstinstanzlich abgewiesen. Im erfolglosen Berufungsverfahren hat sich der Kläger unter anderem auf Organisationsmängel innerhalb der Klinik berufen und dabei die Auffassung vertreten, dass das Betreiben einer kleinen geburtshilflichen Belegabteilung in einem Krankenhaus wegen der gegenüber einem großen Krankenhaus geringeren Diagnose- und Therapiemöglichkeiten an sich bereits einen vorwerfbaren Behandlungsfehler darstelle. Die Entbindung von Risikoschwangeren erfordert im Hinblick auf die Mutter und das Neugeborene spezialisierte Kenntnisse, Fähigkeiten und Ausrüstungen, die nicht in jedem Krankenhaus vorhanden sein können. Bei Entbindungskliniken sind vier verschiedene Versorgungsstufen zu unterscheiden: Auf der untersten Ebene steht die geburtshilfliche Abteilung eines Krankenhauses ohne angeschlossene Kinderklinik, auf der zweiten Ebene die geburtshilfliche Abteilung mit angeschlossener Kinderklinik und perinatologischer Grundversorgung, auf der dritten Ebene das perinatlogische Schwerpunktzentrum Level 2 und auf höchster Ebene das Perinatalzentrum Level 1. Durch Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft sind bei der Geburt zu erwartende Risiken für Mutter und/oder Kind meistens vorhersehbar. Komplikationen können aber auch unerwartet während der Geburt auftreten. Häufig ist dann eine Verlegung in ein Krankenhaus der höheren Versorgungsstufe nicht mehr oder nur unter Gefährdung Mutter und Kind möglich. Das OLG Hamm hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, unter welchen Voraussetzungen eine Entbindung in einem kleineren Krankenhaus ohne angeschlossene Kinderklinik wegen der geringeren Diagnose- und Therapiemöglichkeiten als Behandlungsfehler angesehen werden kann. Die Haftung von Belegkrankenhäusern wegen Organisationsverschuldens hat die Rechtsprechung schon vielfach beschäftigt. Ein schwerwiegendes Organisationsverschulden liegt dann vor, wenn eine Entbindungsstation die notwendige Weiterversorgung einer Mangelgeburt nicht bereithält und auch die in die Kinderklinik gebotene Verlegung nicht veranlasst. Wird während des Geburtsvorganges erkennbar, dass ein Not-Kaiserschnitt vorzunehmen ist, darf der Zeitraum zwischen der Entscheidung über dessen Durchführung und der Entbindung nicht länger als zwanzig Minuten betragen. Eine Verzögerung von nur sechs Minuten ist von der Rechtsprechung bereits als grober Organisationsmangel angesehen worden. Die Haftung des Belegkrankenhauses ist von der des Belegarztes abzugrenzen, die einsetzt, sobald dieser die Geburtsleitung mit der Eingangsuntersuchung bzw. Feststellung der Geburtsbereitschaft übernommen hat. Eine Haftung des Belegkrankenhauses kann sich allerdings dann ergeben, wenn in der Werbung für das Krankenhaus eine umfassende Versorgung und Betreuung versprochen wird, so dass die Patientin davon ausgehen kann, dass die Einrichtung die volle Verantwortlichkeit für alle im Rahmen der Geburtshilfe erforderlichen medizinischen Maßnahmen einschließlich ärztlichen Beistandes sowie einer gegebenenfalls notwendigen Verlegung der Patientin und/oder des Kindes in eine Klinik übernimmt und insoweit die erforderlichen organisatorischen Maßnahmen treffen wird. Nach der hier besprochenen Entscheidung bestehen dann keine tatsächlichen und rechtlichen Ansatzpunkte für ein Organisationsverschulden, wenn ein normaler Geburtsvorgang in einer Belegabteilung betreut werden kann und grundsätzlich die Möglichkeit besteht, bei auftretenden Komplikationen eine Verlegung von Mutter bzw. Kind in eine Einrichtung mit besseren Diagnose- und Therapiemöglichkeiten durchzuführen. Somit haben sowohl der Gynäkologe, der die Mutter während der Schwangerschaft betreut, als auch der Krankenhausarzt, der die Eingangsuntersuchung vornimmt, zu prüfen, ob die Indikation zur Einweisung der Schwangeren in ein Krankenhaus der höheren Versorgungsstufe besteht. Der Entscheidung des OLG Hamm ist insoweit zuzustimmen, als die pauschale Behauptung, dass bei kleineren Krankenhäusern mit einer niedrigen Versorgungsstufe per se ein Organisationsmangel vorliege, nicht zutreffend ist. Eine flächendeckende Versorgung ist ohne kleinere Belegkrankenhäuser, die nicht mit einer kinderärztlichen Abteilung ausgestattet sind, unmöglich. In dem Beschluss wird aber nur die Frage erörtert, ob die geringeren Diagnose- und Therapiemöglichkeiten eines kleineren Belegkrankenhauses grundsätzlich als Organisationsmangel anzusehen sind. Nicht angesprochen wurde die Frage, ob die Schwangere vor Aufnahme in ein Krankenhaus der unteren Versorgungsstufe über das erhöhte Risiko bei unerwarteten Komplikationen insbesondere für das Kind aufgeklärt werden muss. Grundsätzlich muss der Patient nach der Rechtsprechung des BGH über die Möglichkeit der Behandlung in einem personell oder operativ besser ausgestatten Krankenhaus zwar nicht aufgeklärt werden. Das Selbstbestimmungsrecht der Patienten erfordert es jedoch, dass diese vor der Geburt über das höhere Risiko bei Auftreten unvorhersehbarer Komplikationen in kleineren Kliniken ohne angeschlossene Kinderklinik aufgeklärt werden. In vielen Fällen wird die Schwangere sich dennoch für ein kleines Krankenhaus mit persönlicher Betreuung in der Nähe ihres Wohnortes entscheiden. Ökonomische Aspekte dürfen jedenfalls für den Anspruch des Patienten auf eine umfassende Risikoaufklärung keine Rolle spielen.

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Fachanwalt Joachim Francke
Francke & Partner Rechtsanwälte
Fachanwalt für Medizinrecht
Fachanwalt für Sozialrecht
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